Dieser Artikel von mir wurde erstmalig am 26. April 2011 bei Usabilityblog veröffentlicht.
Anfang April 2011 wurde Google der Kauf von ITA-Software durch das US-Justizministerium genehmigt. Die Übernahme könnte direkte Auswirkungen auf die Reisemittlerbranche haben. Denn einige Online-Reiseportale nutzen ebenfalls Dienste des Softwareanbieters. Der Kauf von ITA-Software ist für Google deshalb an strikte Bedingungen geknüpft.
Zusätzlich stellte Google bereits im November 2010 seine Search Engine Result Pages (Suchergebnisseiten kurz SERPs) um. Dabei werden Anfragen mit regionalem Bezug nun bevorzugt. Die lokalen Suchergebnisse erscheinen häufig sogar vor den regulären. Beim Beispiel „unterkunft lüneburg“ stehen insgesamt sieben lokale Anbieter vor dem ehemals ersten Suchergebnis (siehe Abbildung 1).
Durch die Kombination dieser Ereignisse (ITA Kauf und Local Search) wird nun viel darüber diskutiert, ob Google selbst als Reisemittler agieren will (bzw. dies bereits tut) und damit eine Bedrohung für hotel.de, HRS usw. darstellt. Um auf diese Frage eine Antwort zu erhalten, möchte ich im Folgenden verschiedene Perspektiven einnehmen:
Die wirtschaftliche Perspektive:
Zunächst muss erklärt werden, was die eigentliche Stärke von Reisemittlern und Suchmaschinen ist. Eines haben beide gemeinsam. Sie besitzen kein eigenes (physisches) Produkt. Ihre Hauptaufgabe besteht in der Auswahl, Zusammenführung und Weitergabe von Informationen. Der Ansatz der Geschäftskonzepte ähnelt sich daher sehr.
Die wissenschaftliche Perspektive:
Aus theoretischer Sicht stellt diese Informationssuche den zweiten Schritt (nach der Erkenntnis eines Bedürfnisses) einer extensiven Kaufentscheidung dar. Extensiv deshalb, weil das Informationsbedürfnis vor dem Kauf besonders hoch ist. Reiseentscheidungen sind häufig dieser Kategorie von Kaufentscheidungen zuzuordnen. Das bedeutet, dass Menschen Zusatzinformationen benötigen, um ihre Reiseentscheidung treffen zu können. Reiseportale (bspw. HRS) oder Bewertungsplattformen (bspw. Holidaycheck) können dabei die erste Anlaufstelle darstellen. Die Suche hat sich in Teilen also direkt auf diese Portale verschoben.
Die SEO Perspektive:
Und selbst wenn die Suche via Google beginnt, konnten Reisemittler bisher durch Suchmaschinenoptimierung (SEO) Kunden auf ihre Seite lenken. Diese Möglichkeiten werden durch die Umstellung der SERPs deutlich schwerer. Mit dem Effekt, dass Leistungsträger gestärkt werden: Auf der Ergebnisseite von Google werden bei Suchanfragen mit lokalem Bezug die Google Places Profile (regional ansässige Firmen haben bei Google die Möglichkeit, Adressdaten und weitere Informationen anzugeben) vorgezogen. Bei dem obenstehenden Beispiel „unterkunft lüneburg“ profitieren Leistungsträger somit. Reisemittler werden auf die hinteren Plätze (im Wortsinn) verwiesen.
Die User Experience (UX) Perspektive:
Google stellt den Nutzern im Places Profil des Anbieters nun verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Die wichtigsten sind hierbei eine integrierte Ansicht von Bewertungen zum Hotel sowie die Möglichkeit, das Hotel aus Google heraus (und über ein Reiseportal) zu buchen. Durch die Integration von Bewertungsplattformen wird die Qualität eines Hotels wesentlich transparenter. Vermittelt die Hotelseite neben guten Bewertungen zusätzlich Vertrauen durch Usability und Joy of Use, so ist eine Direktbuchung wahrscheinlich. Alternativ erfolgt die Buchung aus dem Google Places Profil heraus (wofür Google Werbeeinnahmen vom Reiseportal erhält). Die Legitimität des Reisemittlers ist dadurch erheblich eingeschränkt. Er agiert in diesem Fall lediglich, um den Buchungsvorgang abzuschließen.
Die Social Media Perspektive:
Der Reisemittlerbranche wird damit auf seine eigentliche Stärke zurückgeworfen: Der Aufbau einer guten Reputation. Denn durch Reputation wird Vertrauen generiert. Ein wichtiges Buchungskriterium. Die Integration von Social Search führt jedoch zusätzlich dazu, dass Nutzer sich die Reputation des Leistungsträgers von anderen Nutzern „verifizieren“ lassen können.
Fazit:
Insgesamt sprechen die genannten Entwicklungen für die These der Disintermediation – also den Wegfall von Reisemittlern. Dennoch teile ich diese These nicht gänzlich, denn die Leistungen eines Reisemittlers gehen über Googles Kernkompetenz (die Suche) hinaus. Google stärkt also zum einen die Leistungsträger selbst und schaltet sich gleichzeitig zwischen Nutzer und Reisemittler. Also eine Reintermediation. Vor diesem Hintergrund sollte man sich der Ausgangsfrage konkreter widmen: Sind die Entwicklungen bei Google unabhängig von meinen obenstehenden Überlegungen zu sehen und somit lediglich ein Schritt in Richtung Qualität der Suchergebnisse? Oder verfolgt Google bei dieser Entwicklung das Ziel, den Anfang der Suche wieder bei sich starten zu lassen, um sich damit selbst als Intermediär zu etablieren? Was meinen Sie?