Social Travel im Destinationsmarketing

Dieser Artikel von mir wurde erstmalig am 14. Juni 2012 bei Netzvitamine veröffentlicht.

Durch das Update von Google+ Local wurde deutlich, dass das eigene soziale Netzwerk bei der Reiseinspiration in Zukunft immer relevanter wird. Empfehlungen von Freunden haben das Potenzial, das Reisebüro, Buchungsplattformen und selbst konventionelle bzw. anonyme Bewertungen als Informationsquelle zu ersetzen. Aber auch der Erfolg von Anbietern für Privatunterkünfte wie 9flats, Airbnb oder Wimdu zeigt, dass sich eine neue Form des Reisens etabliert: Social Travel.

Warum kommt dieser Trend gerade jetzt, welche Werte stehen dahinter und wie kann das Destinationsmarketing davon profitieren?
Ein kurzer Blick zurück: In den 1970er Jahren waren Individualreisende noch Abenteurer. Es gab kaum Reiseführer, kein Internet. Die Werte dieser Generation Reisender richteten sich gegen den Massentourismus. Man wollte Neues entdecken, die einheimische Bevölkerung authentisch erleben. Mit dem Erfolgszug der Lonely Planet Reiseführer gab es dann immer weniger weiße Flecken auf der Landkarte. Individualreisen waren in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie wurden zum Massenphänomen und führten damit die ursprünglichen Motive der Reisenden ad absurdum. Wenn aber diese Reiseform nicht mehr möglich ist, wo finden wir sie dann noch? Die Antwort lautet: Social Travel. Andrea Diener beschreibt dieses Phänomen wie folgt:

Das Schlagwort „Social Travel“ bezeichnet eine Art zu reisen, die es ermöglichen soll, jenseits der touristischen Infrastruktur unterwegs zu sein und Land und Leuten auf Augenhöhe zu begegnen. Man quartiert sich lieber privat ein als im Hotel, man verlässt sich lieber auf die Tipps der Einheimischen als auf die des Reiseveranstalters.

Oliver Puhe lieferte zu diesem Trend erst kürzlich viele Beispiele: Bei Couchsurfing ist es möglich, bei Mitgliedern der Community kostenlos zu übernachten. Auf der Plattform GetYourGuide können Einheimische Angebote einstellen, die dann von Reisenden gebucht werden, usw. Hinter diesem Trend steckt der im Tourismus schon immer zentrale Wunsch nach Authentizität. Ob innerhalb fremder Kulturen oder in Deutschland, Echtheit findet sich immer im Kontakt mit den Bewohnern einer Destination. Der passende Slogan des Privatunterkunftsanbieters Wimdu dazu lautet: „Travel like a local“. Es geht also um elementare touristische Werte. Das Internet schafft dabei die technologischen Voraussetzungen, um Einheimische und Gäste schnell zusammenzubringen, zu vernetzen. Über die neuen Medien wird es wieder möglich, ausgetretene Pfade zu verlassen. Endlich kann man sich wieder von der Masse der Touristen abheben!

Was ist der Effekt von Social Travel?
Diese Reiseform ist irgendwie doch anders als der Individualtourismus ohne Internet. Denn durch die Vernetzung und den Kontakt vor Ort entsteht ein Gemeinschaftsgefühl. Die lokale Bevölkerung ist jetzt Teil der Bewegung. Sie stiftet Identität für sich selbst und für die Reisenden. Der Kulturtheoretiker Stuart Hall meint, dass keine Identität existiere, die nicht durch das „Nadelöhr des Anderen“ hindurch gegangen wäre. Sprich: Identität ist eine Beziehung. Beispiel: In New York gibt es bereits seit 1992 die Big Apple Greeter. Hier können sich Reisende bewerben, um sich von New Yorker Bürgern die Stadt zeigen zu lassen. Der Slogan: „Sharing New York through the eyes of a New Yorker“. Durch die Augen eines New Yorkers! Das bedeutet: Der Reisende erlebt New York abseits der Touristenpfade. Er ist kein Tourist, sondern Gast, Insider, Pionier. Der New Yorker kann sich als Kenner seiner Stadt profilieren und entwickelt seine Identität als echter New Yorker. Also auch die Bevölkerung selbst entwickelt über den Kontakt zu Touristen ein Identitätsgefühl und im besten Fall eine Tourismus-Gesinnung.

Wie kann man Social Travel im Destinationsmarketing nutzen?
Dafür gibt es kein besseres Beispiel, als die Aktion „Offene Türen“ im Rahmen der Kampagne Inspired by Iceland. Dabei rief der isländische Präsident in einem Video alle Isländer auf, Touristen zu sich nach Hause einzuladen. Der Präsident ging selbst mit gutem Beispiel voran und lud zu „Pfannkuchen mit Schlagsahne und Rhabarbermarmelade“ in sein Haus ein. Die Einladungen wurden von den Isländern auf der Internetseite inspiredbyiceland.com veröffentlicht. Interessierte Besucher konnten dann in den Einladungen stöbern und sich Angebote aussuchen. Die Vorschläge reichten von essen über wandern bis hin zu stricken mit Isländern. Die Besucher sollten sich durch diese Initiative bei ihrem Aufenthalt wie „offizielle Isländer“ fühlen und „das Isländische“ des Landes kennenlernen.

Beim diesjährigen DestinationCamp wurde betont, dass die Klischees einer Destination erlebbar werden müssten. Durch Social Travel wird dies möglich. Destinationsmarketing bedeutet heute nicht mehr eine Botschaft auszusenden, sondern vielmehr Austausch zwischen Reisenden und Bevölkerung zu initiieren. Denn erst durch die Identifikation mit der Destination wird eine Beziehung zu ihr aufgebaut. In der Postmoderne gibt es keine starre Identität mehr. Sie ist ein kontinuierlicher Prozess. Identität ist das Sammeln von Identifikationen. Und wo könnte das besser gelingen, als auf Reisen?

Beitrag teilen: