Dieser Artikel von mir wurde erstmalig am 13. Mai 2011 als Gastbeitrag bei Tourismuszukunft veröffentlicht.
Nachdem bereits seit längerem Google und Facebook für den Umgang mit Nutzerdaten kritisiert wurden, hat es nun auch Apple erwischt. Auslöser war ein kleines Programm, welches eine Datei auf dem iPhone ausließt und diese Daten dann in ein Bewegungsprofil des Besitzers umwandelt (siehe Abbildung). So kann nachvollzogen werden, wo sich der jeweilige iPhone-Besitzer aufgehalten hat. Seit einigen Wochen ist dadurch eine Debatte um ortsbezogene Daten entbrannt. Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehen, sondern versuchen eine Metaperspektive dieser Diskussion wiederzugeben. Daher stelle ich in diesem Beitrag die Fragen: Was bedeutet Öffentlichkeit im Zeitalter von Social Media? Welche Konsequenzen ergeben sich für die Nutzer? Wie sollten Unternehmen mit diesen Daten umgehen?
Die Öffentlichkeit 2.0
Meiner Meinung nach erleben wir derzeit eine Entwicklung, die ich hier (gewollt wertfrei) als „Umkehr des Defaults“ bezeichnen möchte: Im Zeitalter von Social Media ist nicht das Auffinden von Informationen die Herausforderung, sondern das Verbergen. Der Kern der Debatte um personenbezogene Daten ist also die Frage nach einer neuen Definition von Öffentlichkeit. Bei Google Street View wurde dieser Konflikt sehr anschaulich. Denn das Argument der Pro-Fraktion war es, dass es sich bei den Aufnahmen von Google um öffentlichen Raum handele. Es würden ja lediglich die Fassaden fotografiert. Und diese könne man auch einsehen, wenn man an dem Haus vorbeigehe. Die Contra-Meinung dazu war, dass niemand das Recht habe, den eigenen Vorgarten zu fotografieren und diesen im Internet der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Aber warum gibt es bei Google Street View und Apple einen Aufschrei? Wo doch die Netzgemeinde ohnehin unzählige private Daten teilt. Freiwillig. Nutzer wollen also selbst entscheiden dürfen, wann sie welche Informationen von sich preisgeben. Dies war im Fall von Apples Bewegungsprofilen nicht so. Öffentlichkeit bedeutet also im Zeitalter von Social Media, dass jeder selbst über den Grad an Privatsphäre entscheiden möchte und kann. Eine unbemerkte Aufzeichnung von Daten scheint hingegen nicht gesellschaftlich akzeptiert zu sein und stößt deshalb auf eine so große negative Resonanz.
Die Währung des Internets
Grundsätzlich sollte man sich vor Augen führen, dass all diese Informationen eine Währungen des Internets darstellen. Alle Dienste, sei es Twitter, Facebook, Google, etc. sind frei verfügbar. Dennoch gibt es eine Form der Bezahlung. Der Nutzer zahlt mit seinen Daten. So heißt es auch ironisch: „niemandem ist man so ehrlich gegenüber wie seiner Suchmaschine“.
Ist vielen nicht bewusst, dass das Datenmonopol bei den Anbietern und nicht beim Nutzer selbst liegt? Der häufig naive Umgang mit persönlich geteilten Informationen auf Facebook passt jedenfalls nicht so recht zu dem Aufschrei, der durch Apples Bewegungsprofile nun erneut ausgelöst wurde. Doch was treibt uns an, private Informationen öffentlich zu teilen? Social Media wird (mit leicht sarkastischem Unterton) gerne als Ego Media bezeichnet. Aufmerksamkeit ist also eine weitere Währung des Internets. Der Facebook Like-Button ist in diesem Kontext eine geniale Form zur einfachen Generierung von Aufmerksamkeit durch einen einzigen Klick. Neben dem Austausch steht also auch immer das Bedürfnis nach Beachtung. Ein Gegenentwurf wie Diaspora, wo Daten dezentral gespeichert werden, konnte sich bisher nicht durchsetzen – wohl auch aufgrund der eingeschränkten Usability und Verbreitung im Vergleich zu Facebook.
Die Chancen für das Marketing
Abgesehen von dieser ethisch geprägten Diskussion ergeben sich durch personen- und ortsbezogene Daten aus Marketing-Sicht auch Möglichkeiten, auf Bedürfnisse der Nutzer in Echtzeit einzugehen. Anschaulich demonstriert hat dies die Aktion KLM-Surprise. Die Airline verteilte kleine Geschenke an Kunden, die mittels Foursquare oder anderer Check-In Dienste öffentlich bekannt gaben, dass sie mit KLM fliegen und sich im Flughafen befanden. Die Geschenke waren auf die jeweilige Person und deren Bedürfnisse zugeschnitten. Informationen dazu recherchierten die Mitarbeiter von KLM über Twitter, Facebook und andere soziale Netzwerke.
Nicolas Gregori bezeichnet diese Form des Marketings in seiner Doktorarbeit als „service of now“. Dies ist ein grundlegend zu beobachtender Trend: Klassische massenmediale Kommunikation mit einem Sender und vielen Empfängern kann nur noch mit Reichweite, nicht aber mit Relevanz punkten. Durch die neuen Möglichkeiten, die sich durch personenspezifische und ortsbezogene Daten ergeben, sollte der Fokus jedoch auf Service und Dialog liegen. Unternehmen müssen daher ihren Kunden zuhören, bevor sie handeln. Denn die artikulierten Wünsche und Kommentare in sozialen Netzwerken sind die Basis für modernes Servicemanagement in einer Öffentlichkeit 2.0. Zielgruppenbefragungen werden in diesem Kontext ad absurdum geführt. Denn die Daten sind ja bereits vorhanden. Unternehmen müssen sie nur nutzen. Sie haben durch Social Media die Chance, proaktiv auf adhoc Bedürfnisse ihrer Kunden einzugehen. So haben persönliche und lokale Daten ein enormes Potenzial und können zu einer sehr viel sinnvolleren Form des Marketings führen.
Pingback: Facebook ändert das Regelwerk und nicht die Mechanismen des Social Web! | Eric Horster